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Auszug aus:
[ Kap.
XII. ]
[ Kap. XIII. ] Franz Poppe (1834 - 1915): Das Lerchennest am Stau; heimatliche Erzählung |
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[1813] "Wie ein Donnerschlag
wirkte es auf die Bürgerschaft, als sich am folgenden Tage, dem 4.
April, die Nachricht verbreitete, die fünf Mitglieder der Kommission
seien plötzlich von Gendarmen verhaftet und
nach dem Rathause gebracht worden. Und als ich nachmittags von meinem
Werkplatze nach Hause kam, rief mir ein Nachbar zu: "Wissen Sie es
schon?
Die fünf Mitglieder sind nach Bremen abgeführt."
"Nicht möglich!" "Ja wohl, in zwei Kutschen, von berittenen Gendarmen begleitet. Auf jedem Bock saßen zur Bewachung zwei Gendarmen mit geladenen Gewehren. Auf dem Markte stand unterdessen die ganze Garnison unter Gewehr, bereit alles niederzuschießen, was sich widersetzte. Das war unnötig; denn nur wenige wußten etwas davon, so schnell ging es, und wer hätte auch den Mut zum Widerstande gehabt! Sie sollen sehen, das nimmt ein trauriges Ende; die Fünfe werden verurteilt. Und unter ihnen ist mein Bruder!" "Kann man noch nicht
wissen," sagte ich beruhigend; "was haben sie sich denn zuschulden
kommen lassen? Und außerdem können sie sich ja verteidigen, von Berger spricht gut
Französisch." Als sie vor dem General Vandamme erschienen,
empfing er
sie mit der Drohung: "Je vous fusiller ce soir!" Ich werde Sie am Abend
erschießen lassen. - Als von
Berger auf Französisch antwortete: "Exzellenz,
wir wurden von dem Unterpräfekten in die Bresche gestellt," entgegnete
jener schroff abweisend: "Eh bien (nun gut), wurden sie von einem
miserabeln Unterpräfekten in die Bresche gestellt, so hätten Sie mit
Ihrem Leben sie behaupten sollen." Damit wußten sie was ihnen
bevorstand. - "Sollst sehen, sie
verhaften dich auch," rief sie. "Du hast zwar nichts Böses getan, aber
du hast viel mit den Herren verkehrt und" hierbei schüttelte sie
warnend den erhobenen Zeigefinger - "die französischen Douaniers kennen
dich auch. Hast du nicht mit ihnen - " Nun kann ich wieder fortfahren: Als wir in Bremen angelangten, begab ich mich sofort zum Anwalt Dr. Droste, dem ich sehr gelegen kam, und der es veranlaßte, daß wir als Zeugen auftreten durften. Gegen 4 Uhr nachmittags am 9. April wurden die Verhandlungen vor dem aus acht hohen Militärs bestehenden Kriegsgerichte eröffnet und zwar in einem Saale der Navigationsschule. Die Angeklagten bestanden in dem Berichte des Oberpräfekten über die Empörung im Oldenburgischen, den vom Unterpräfekten erlassenen Instruktionen an die Mitglieder der Kommission und den Proklamationen der letzteren. Der Berichterstatter, Hermann Carlier, begründete auf diese Aktenstücke seine Anklage, fügte aber hinzu, die Angeklagten hätten sich allerdings gesetzwidriger Handlungen schuldig gemacht, jedoch ohne aufrührerische Pläne gegen den Staat im Schilde geführt zu haben, und beantragte demnach eine Gefängnisstrafe von einigen Monaten gemäß einem Artikel des französischen Strafgesetzbuches. Daran aber kehrte sich das Gericht nicht, sondern der Präsident, Major Goutefrey, erklärte, die Sache sei als Hochverrat zu behandeln. Denn die Angeklagten hätten eigenmächtig eine nicht vorgeschriebene Unterschrift gewählt, hätten eine neue Stadtkommission ernannt, hätten für die Maires eine andere Benennung eingeführt, hätten das französische Eigentum mit Beschlag belegt, den Verkauf der Vorräte angekündigt, das Abreißen der Wappen nicht verhindert, die Urheber des Aufstandes nicht verhaftet, hätten des Kaisers nicht erwähnt und die vorgeschriebenen Berichte an den Unterpräfekten unterlassen usw. Das war ja leider alles so. Die Kommission hatte wohl wie wir alle im Freudentaumel gedacht, die Franzosen kämen nicht wieder und die alten Zustände würden baldigst zurückkehren. - Herr von Berger entwickelte nun in französischer Sprache vollständig klar und bündig, warum die Kommission so handeln mußte und nicht anders handeln konnte. Im übrigen wurde den einzelnen jedes Wort der Verteidigung abgeschnitten. Mit Heftigkeit erklärte der Präsident, auf die ihnen vorgelegten Fragen genüge ein kurzes Ja oder Nein. Nur mit Mühe erlangte
Herr von Berger die
Erlaubnis, seine früher abgefaßte, an den Oberpräfekten
gerichtete Verteidigungsschrift, die aber dieser leider nicht erhalten
hatte,
vorzulesen. Sie wurde mit sichtlicher Ungeduld und mit Hohnlächeln
angehört.
Uns Entlastungszeugen wollte man gar nicht zu Worte kommen lassen; man
hielt
unsere Vernehmung für vollständig überflüssig. Da bat der Herr
Verteidiger
und führte etwas aus, wir hätten eigens deshalb die weite Reise von
Oldenburg
nach Bremen gemacht, seien durchaus unbescholtene Männer und
unparteiische
Augenzeugen. Ich besonders sei gar kein geborener Oldenburger, also
ganz
unvoreingenommenen, sei ein aus W-rschau eingewanderter Pole,
Steinmetzmeister
und Bildhauer. Ich hätte sogar eine große Vorliebe für Frankreich und
die
französische Nation, weil ich lange in Paris gewesen sei, auch mich mit
der
berühmten französischen Nationalliteratur eingehend beschäftigt und
infolgedessen
das reinste Französisch spreche.
Das schien die hohen
Herren sichtlich zu interessieren. Sie horchten auf, und der Herr
Präsident hieß mich näher treten. Er setzte sogar eine gnädige Miene
auf, fragte mich nach meinen Eltern und wie alt ich sei. Ich sagte, im
Juni 44 Jahre, da ich 1769 geboren. Wann ich in Paris gewesen. Ich
sagte, während der großen Revolution bis zu den Zeiten Sr. Majestät,
unseres glorreichen Kaisers Napoleon. Ob ich auch Revolutionär sei.
Nein, ich sei ein ganz loyaler, friedliebender Untertan, verheiratet
und bereits Vater von fünf Kindern. Was ich denn von den Oldenburger
Exzessen halte, ob ich auch daran beteiligt gewesen sei. Nein,
dazu hätte ich weder Lust noch Zeit gehabt, meine Frau, eine geborene,
handfeste, resolute paysanne (Bauernfrau), würde mich auch bald zur
Raison gebracht haben. Sie lächelten, höchlist amüsiert. Die
Oldenburger, sagte ich, seien phlegmatischer Natur,durchaus nicht zu
Aufruhr und Exzessen geneigt. Nur der hergelaufene Pöbel und allerlei
Gesindel sei es gewesen, der die Ausschreitungen begangen habe. Die
anständigen Bürger seien in ihren Häusern geblieben. Sie wußten wohl,
daß auch eine große Nation sich nicht auf der Nase herumspielen läßt.
Sie hätten sogar die Ruhe wieder hergestellt durch ihre Bürgergarde,
deren Kapitän ein geborener Franzose, Monsieur
de Cousser, sei. Es sind alles gute Oldenburger, sagte ich. Ich kenne
sie
genau, weil ich im Rathause häufig als Dolmetscher fungieren mußte.
Keiner
von ihnen hat das Volk aufgereizt." Damit war ich
abgefertigt. Die Herren von
Finckh und von Berger
waren unrettbar verloren, das
merkten wir. "Einerlei," bemerkte hier Herr Klävemann, als Högl einst
in dessen Beisein diese Szene erzählte, ihm die Hand drückend, "Ihren
famosen Schnäcken haben wir es zu verdanken, daß unser Leben gerettet
wurde." Gegen 2 Uhr trat der Gendarmerie-Wachtmeister ein, und nun wurden diese beiden in den alten Zwinger, das Kriminalgefängnis, die drei übrigen ins Zuchthaus abgeführt. Diese Trennung sagte genug. Die beiden Todeskandidaten zweifelten nun wohl nicht mehr an ihrer Verurteilung, wenn auch der Leutnant Patkamp, der sie mit dem Urteile bekannt machte, hinzufügte,, "es werde nicht vollzogen werden; es sei nur ausgesprochen, um allgemeinen Schrecken hervorzurufen". - Beide schrieben
Abschiedsbriefe, von Finckh
an seine Gattin, von Berger
an seine bejahrte Mutter. "Das Leben läuft schnell ab," sprach Herr von Berger zu seinem Todesgenossen, indem er ihm zum Abschiede die Hand drückte; "wir sehen uns bald wieder." Die beiden Opfer reichten sich die Hände, um so Hand in Hand zu sterben. Allein man trennte sie. Es war gerade ein schöner Frühlingsmorgen, warm schien die Sonne, hell zwitscherten die Vögel. "Quel ciel serei, pour mourir! (welch heitrer Himmel, um zu sterben!) rief da Herr Berger laut, so daß alle es hörten. Nun wurde beiden eine Binde um die Augen geknüpft. So standen sie. Einen Augenblick Totenstille. Dann knackten die Gewehrschlösser, und die Schüsse knallten. Herr von Berger sank, von den Kugeln ins Herz getroffen, sofort tot nieder. Herr von Finckh, nicht so gut getroffen, wand sich noch lange und schmerzlich auf dem blutigen Boden, bis er endlich mit einem letzten Todesseufzer den Geist aushauchte. Es waren gräßliche, entsetzliche Augenblicke. Die Leichen entkleidete man und begrub sie auf der Richtstätte. In der Nacht aber ließen wir Oldenburger sie wieder ausgraben, einsargen und im nahen Dorf Walle bei der dortigen Kapelle in die Erde senken. Als wir am Nachmittage
des 11. April gerade wieder nach Oldenburg abfahren wollten, erlebten
wir noch eine besondere Überraschung. Ums kurz zu machen: Wir kamen wirklich zu dem französischen General und wurden auch vorgelassen. Ich meine, er wohnte in einem großen städtischen Gebäude. Oder war es eins der ersten Hotels? Das weiß ich nicht so genau mehr. Als er die beiden strammen Oldenburgerinnen sah, da leuchteten seine Augen. Er war galant, wie alle Franzosen, und von herkulischer Gestalt. Ich trug ihm ruhig, die triftigsten Gründe anführend, aber inständig bittend unser Begehren war, während die beiden Frauen in heftiges Weinen und Schluchzen ausbrachen. Das verstehen sie ja zu gelegentlicher Zeit, und es erweichte auch sein hartes Herz. Er schritt ein paarmal das Zimmer auf und ab und rasselte, sich den Schnurrbart streichend, mit dem Säbel. Dann warf er noch einen Blick auf die Frauen, die ihn flehend, während die hellen Tränen über ihre Wangen rieselten, anschauten. Nach einer kleinen Pause zog er die Klingel. Hierauf trat ein junger Offizier ein, dem er befahl, uns mitzunehmen zum Gefängnisse. "O weh," dachten wir, "nun geht es uns an den Kragen!" Aber er fügte seinem Befehl an den Offizier hinzu, die drei Gefangenen freizugeben und uns zuzuführen. "Was tun wir mit den drei Kerlen," fügte er wegwerfend hinzu; "erschießen? Sie sind ja keinen Schuß Pulver wert, und lassen wir sie hier sitzen, so kostet es uns ja nur Geld. Also weg damit!" - Ein Wink nach der Tür gab uns das Zeichen zum Abgehen. "Je ne suis pas un monstre (ich bin kein Unmensch)," hörte ich ihn in den Bart brummen. Damit waren wir entlassen, und sehr erleichterten Herzens gingen wir mit einem dankbar lächelnden Verneigen von dannen. Das übrige versteht sich von selber. Nach einigen Tagen erließ er eine Bekanntmachung der Urteile durch den Druck. In dieser hieß es, die drei zu halbjähriger Gefängnisstrafe Verurteilten seien völlig freigesprochen, weil sie nur einen unbedeutenden und willenlosen Anteil an den schweren Verfehlungen genommen. Wir blieben die Nacht noch in Bremen und gingen, bevor wir uns zur Ruhe begaben nach der Aufregung der letzten Tage, in den alten weltberühmten Ratskeller, wo wir uns an einem guten Glase echten Rheinweins stärkten und auch der teuern Toten, die im Waller Friedhofe ruhten, in Wehmut gedachten. - Am andern Morgen traten
wir die Heimfahrt an und gelangten erst bei eingetretener Dunkelheit,
was uns sehr lieb war, wieder in unsere Behausungen. Hatten wir auch
nicht alles erreicht, wir hatten wenigstens unsere Schuldigkeit getan,
und es genügt, wenn man das von sich sagen kann. Bekannt ist, daß der Herzog, nachdem er (am 27. November 1813) unter großem Jubel der Bevölkerung wieder in sein Land zurückgekehrt war, die Leichen der beiden edelsten unserer Mitbürger von Walle abholen und auf dem St. Gertrudenfriedhofe in der Nähe des fürstlichen Mausoleums in einem Gewölbe bestatten ließ. Später beauftragte er den hiesigen Gerichtshof, den Prozeß gegen sie zu untersuchen. Dieser Gerichtshof kam zu dem Gutachten, daß die Angeklagten unschuldig verurteilt worden seien. "Infolgedessen," hieß es unter anderem in der Landesherrlichen Bekanntmachung, die in den Kirchen abgelesen wurde, "erklären Wir die Verurteilten für unschuldig, und heben das wider sie ergangene Urteil als ungerecht auf, damit doch das Andenken der edlen, unschuldig geopferten Männer rein und heilig auf die Nachwelt übergehe" (20. April 1814). Mich beauftragte später der Herzog mit der Ausführung eines würdigen Denkmals aus Oberkirchner Sandstein mit Ornamenten aus karrarischem Marmor. Es besteht in wesentlichen aus einem Sarkophag, der auf einem Unterbau ruht, auf dem sich vier dorische Säulen erheben, zwei zu jeder Seite des Sarkophags, die ein leichtes Dach mit hervortretendem Giebelfeld tragen. Hätte ich ganz frei nach meinen Ideen arbeiten können, so würde ich einiges anders gemacht haben. Vor allem wären die großen beiderseitigen Steinplatten zwischen den Säulein fortgeblieben, weil sie den Eindruck der Säulenhalle stören und den Sarkophag verdecken. Aber der Herzog wollte, daß auf der der Landstraße zugekehrten Platte die weit lesbare Inschrift angebracht werde: "Ehrenvoll
ist für gute Sache der Tod". ... |
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